Predigt von Elisabeth Stanggassinger, seit 30 Jahren Gemeindereferentin,  beim Frauengottesdienst am 22.07.2021 in St. Michael in München zu Maria Magdalena

Liebe Frauen und Männer hier in dieser Kirche,

wer ist, wer war Maria von Magdala? Das gnostische Pilippposevangelium schildert sie als eine Frau, die Jesus so nah war, dass die übrigen Jünger Jesus eifersüchtig fragen: „Weshalb liebst du sie mehr als uns alle?“. Dort wird sie sogar als Gefährtin Jesu bezeichnet, was vom Wortsinn her durchaus als Lebensgefährtin übersetzt werden kann. In der Schrift Pistis Sophia, die im zweiten und dritten Jahrhundert nach Christus entstanden ist, dominiert Maria Magdalena die ersten beiden Kapitel. 39 der 46 an Jesus gerichteten Fragen stellt sie. Es heißt in dieser Schrift, dass Petrus so verärgert darüber war, dass er Jesus sagt: „Mein Herr, wir werden diese Frau nicht ertragen können, da sie uns die Gelegenheit nimmt … “ Woraufhin Jesus, fast wie ein nachsichtiger Vater, zu Petrus sagt, dass jemand, der inspiriert ist, nicht zögern darf, zu sprechen.

Und im „Evangelium nach Maria“ (es ist anzunehmen, dass Maria von Magdala gemeint ist) ebenso wie in der Pistis Sophia wird Maria Magdalena als eine Frau geschildert, die die Gruppe der Jünger nach Tod und Auferstehung Jesu erst einmal wieder zusammenholen muss, damit sie ihrem Sendungsauftrag nachgehen. Nach der Szene, die wir gerade im Evangelium gehört haben, schildert ein koptischer Psalm, wie Maria Magdalena von Jesus ausgesandt wird, um die Elf, „diese wandernden Waisen“, zu finden und sie vom Ufer des Jordan zurück zu bringen. „Sag ihnen“ befiehlt Jesus in diesem Psalm der Maria Magdalena, „stehet auf, lasset uns gehen, es ist euer Bruder, der euch ruft. Wenn sie meine Bruderschaft verschmähen, sag ihnen: Es ist euer Meister. Wenn sie meine Meisterschaft missachten, sag ihnen: Es ist euer Herr. Setz all dein Geschick und all deinen Rat ein, bis du die Schafe zum Hirten gebracht hast.“

Die gnostischen Evangelien wurden zwischen dem späten 1. und 4. Jahrhundert verfasst und zwar als eine Art Gegenbewegung zu einer wachsenden Institutionalisierung innerhalb der Kirche. Das ist natürlich mit Vorsicht zu genießen: Man darf jetzt nicht meinen, die gnostische Richtung wäre für die Kirche das Richtige gewesen; denn auch da war letztendlich absolut kein besseres Frauenbild … von den skurrilen Geschichten in manchen dieser Texte ganz zu schweigen! – Das nur am Rande.

Jedenfalls: Am Ende des 2. Jahrhunderts ist die von Jesus aufgebrochene unheilige Ordnung wieder hergestellt: Da schreibt der Kirchenvater Tertullian: „Es ist einer Frau nicht gestattet, in der Kirche zu sprechen, noch ist es ihr erlaubt, zu lehren, noch gar zu taufen oder die Eucharistie darzubringen, noch für sich Anspruch auf irgendwelche männlichen Funktionen – am wenigsten auf das priesterliche Amt – zu erheben.“

Unter den Gnostikern gab es zur gleichen Zeit keine derartige Hierarchie. Alle – ob Mann, ob Frau, konnten als Bischöf*innen, Priester*innen oder Prophet*innen fungieren. Der verblüffte Tertullian schreibt nach einem Besuch in einer gnostischen Gemeinde, dass Frauen dort lehren, „an Diskussionen teilnehmen“, Teufel austreiben, heilen und möglicherweise sogar die Taufe vollziehen. Darüber ist er ganz entsetzt. Und er kritisiert diese Frauen wegen ihres Mangels an Bescheidenheit und ihrer Kühnheit bei der Erfüllung dieser Aufgaben.

Wir wissen alle, wie es ausging. Hippolytus von Rom versah Maria Magdalena zwar noch mit großartigen Titeln: Apostolin der Apostel, „die neue Eva“ … aber nur noch, um die Gemüter zu beruhigen und die zurückgesetzten Frauen bei der Stange zu halten.

Am Anfang des dritten Jahrhunderts also war die Botschaft Jesu in ihrer Grundaussage konterkariert und verbogen. Anders kann man es nicht sagen. Und seitdem müht sich die Kirche, eine Botschaft zu verkünden, die aber niemand mehr in seiner tiefsten Bedeutung begreifen kann, weil es seitdem in der Kirche keinen wirklichen Umgang auf Augenhöhe mehr gab, weder zwischen den Geschlechtern noch im Machtgefüge. –

Dabei ist das der Boden, auf dem die Botschaft Jesu steht: Du bist Mensch. Und wir sind Geschwister. „Tut einander, wie ich euch getan habe!“ Jesus Christus hat sich immer als Bruder verstanden, auf gleicher Ebene. Und so frage ich mich manchmal: Was waren das eigentlich für 7 Dämonen, die Jesus der Maria von Magdala ausgetrieben hat?

Man hat sie im Laufe der Kirchengeschichte mit den sieben Todsünden gleichgesetzt – nachdem man Maria von Magdala zur reuigen Sünderin hochstilisiert hatte - doch nirgends im Neuen Testament wird Besessenheit von Dämonen als eine Sünde bezeichnet. Es waren sexualisierte Männerphantasien, die die 7 Dämonen in diese Richtung interpretiert haben.

Aber vielleicht war das ganz anders, vielleicht waren es die 7 Frauendämonen, die Jesus der Maria von Magdala ausgetrieben hat:

  • Ich bin minderwertig
  • Ich muss schauen, dass es allen gut geht
  • Ich muss mich ganz hintenanstellen
  • Ich muss bescheiden sein
  • Ich muss für alles sorgen
  • Ich muss mich beugen
  • Ich muss fragen, was ich darf und was nicht

Diese sieben Dämonen, so mag ich mir vorstellen, sind aus Maria von Magdala ausgefahren, einfach nur, weil Jesus Frauen ebenso ernst nahm, wie Männer: Eine Apostolin war geboren. Eine Verkünderin, die mit großer Wahrscheinlichkeit dafür gesorgt hat, dass die anderen Apostel überhaupt erst einmal begriffen haben, was hier eigentlich geschehen ist und was ihre Aufgabe ist.

Und diese 7 Dämonen müssen heute wieder ausgetrieben werden. Denn erst dann, wenn Frauen und Männer alles gleichermaßen tun, was es in dieser Kirche zu tun gibt, erst dann ist diese Kirche wieder – vielleicht sogar zum ersten Mal – wirklich die Kirche Jesu Christi. Solange es aber die Hierarchie, diese unheilige Ordnung, in der Kirche gibt, ist diese Kirche nicht jesuanisch und auch nicht christlich, ja nicht einmal menschlich.

Und deshalb, um der Liebe Christi willen, dürfen wir nicht aufhören, dieses zu sagen und einzufordern: Gott beruft Männer und Frauen gleichermaßen zu allem. Immer schon. Und es ist die größte Sünde der Kirche, dass sie Gottes Berufungen, wenn es sich um Frauen handelt, ablehnt.

Aus Maria von Magdala wurde die große Sünderin und Büßerin gemacht, damit niemand mehr ihre eigentliche Bedeutung erkennt, ja ihre eigentliche Berufung, die sie voll und ganz gelebt hat an der Seite Jesu und auch in der jungen Kirche. Sie wurde eingeordnet in das, was Mann damals als ihre Rolle definiert hat. Und das ist bis heute so geblieben. Hochgelobt, aber nicht ernst genommen. Wie die Frauen in der Enzyklika Mulieris Dignitatem – hochgelobt aber nicht ernst genommen!

Das muss sich ändern. Und zwar nicht in erster Linie, weil es für uns Frauen wichtig wäre. Sondern es muss sich ändern, damit die Kirche endlich voll und ganz Kirche Jesu Christi wird.

Eine Kirche, in der alle, wirklich alle, auf einer Ebene sind, egal, welchen Dienst sie gerade versehen, eine Kirche, die sich berühren lässt vom Leid aller; derer, denen sie innerhalb ihrer selbst unsägliches Leid zugefügt hat und derer, die nie zu ihr gekommen sind, weil Jesus in ihr so wenig spürbar war und ist.

Längst ist sie da, die Zeit der fundamentalen Umkehr. Es liegt an uns, ob diese Kirche eine Kirche Jesu Christi wird.