BRIEF von Alt-BISCHOF Pedro Casadáliga, Brasilien
mit Impulsen zur Reform der Kirche mit Papst Franziskus
Dom Jose Maria Pires, emeritierter Erzbischof von Paraiba
Dom Tomás Balduino, emeritierter Bischof von Goiás
Dom Pedro Casaldáliga, emeritierter Bischof von São Felix de Araguaia
Brief an die brasilianischen Bischöfe
15. August 2013
Fest der Himmelfahrt Mariens.
Liebe Brüder im Bischofsamt!
Wir drei sind pensionierte Bischöfe, die nach der Lehre des II. Vatikanischen Konzils bleibend zum Kollegium der Bischöfe gehören, obwohl wir nicht mehr Hirten einer Ortskirche sind. Zusammen mit dem Papst glauben wir, verantwortlich für die weltweite Gemeinschaft der katholischen Kirche zu sein.
Die Wahl von Papst Franziskus zum Hirtendienst für die Kirche, seine Botschaft von Umkehr und Erneuerung, seine beständigen Aufrufe zu mehr Einfachheit im Sinne des Evangeliums und zu größerem Eifer in der pastoralen Liebe zur ganzen Kirche freuen uns sehr. Wir waren auch von seinem jüngsten Besuch in Brasilien berührt, vor allem von seinen Worten an die Jugendlichen und an die Bischöfe. Er hat uns sogar den historischen Katakombenpakt in Erinnerung gerufen.
Erkennen wir Bischöfe, was dieser neue Horizont für die Kirche theologisch bedeutet? In einem Interview In Brasilien erinnerte der Papst an die berühmte mittelalterliche Maxime: "Ecclesia semper renovanda".
Weil wir uns als Bischöfe für die katholische Kirche verantwortlich glauben, erlauben wir uns, Euch unsere Überlegungen vertrauensvoll aufzuschreiben mit der brüderlichen Bitte, darüber einen intensiveren Dialog anzustreben.
1. Die Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Bischofsamt
Das Dekret "Christus Dominus" widmet das 2. Kapitel der Beziehung zwischen dem Bischof und der Ortskirche. Darin wird jede Diözese als "Teil des Gottesvolkes " (nicht nur als Territorium) bezeichnet, "in der die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wahrhaft wirkt und gegenwärtig ist" (CD 11), denn jede Lokalkirche ist nicht nur ein Stück der Kirche oder eine Filiale des Vatikans, sondern wirklich Kirche Christi. So bezeichnet sie das Neue Testament (LG 22). Jede Ortskirche wird durch das Evangelium im Heiligen Geist versammelt, hat ihre eigene Beständigkeit für den Dienst der Nächstenliebe, das heißt, für die Sendung, das Reich Gottes zu bezeugen und die Welt zu verändern. Diese Mission wird in der Eucharistie und in den Sakramenten zum Ausdruck gebracht. Sie wird in der Gemeinschaft mit ihrem Hirten, dem Bischof gelebt.
Diese Theologie gibt dem Bischof keinen Platz oberhalb oder außerhalb der Kirche, sondern als einem Christen mitten in der Herde und mit einem Dienstamt für seine Geschwister. Auf der Basis dieser Eingliederung sind alle Bischöfe, ob Ortsbischof oder Emeritus, Weihbischof oder Bischof mit pastoralen Aufgaben ohne Diözese, als Träger der von Gott geschenkten Ordination Mitglieder des Bischofskollegiums und verantwortlich für die Katholizität der Kirche.
2. Notwendige Synodalität im XXI. Jahrhundert
Die Organisation des Papstamtes als zentralisierte monarchische Struktur wurde im Pontifikat Papst Gregors VII. im Jahre 1078 begründet. Während des ersten Jahrtausends des Christentums war der Primat des Bischofs von Rom in einer mehr kollegialen Gestalt organisiert und die Kirche hatte einen stärker synodalen Charakter.
Das II. Vatikanische Konzil hat die Kirche wieder dazu gebracht, das Bischofsamt als kollegiales Dienstamt zu verstehen. Diese Erneuerung stieß während des Konzils auf die Opposition einer Minderheit mit gegenteiliger Meinung. Das Thema wurde dann wirklich nicht angemessen behandelt. Darüber hinaus haben weder der Kodex des Kanonischen Rechtes von 1983 noch Dokumente des Vatikans der Kollegialität ihren Rang zuerkannt, sondern engten deren Verständnis ein und bauten Hindernisse auf, sie auszuüben.
Das begünstigte die wachsende Macht der römischen Kurie und die Zentralisierung zu Lasten der nationalen wie kontinentalen Bischofskonferenzen und sogar der Bischofssynode, die dann nur noch beratende Funktion und keine Entscheidungskompetenz mehr hatte, obwohl doch diese Instanzen zusammen mit dem Bischof von Rom die höchste und volle Leitungsgewalt in Bezug auf die Gesamtkirche innehaben.
Nun scheint Papst Franziskus den Strukturen der katholischen Kirche und jeder unserer Diözesen wieder eine stärker synodale Organisation und kollegiale Gemeinsamkeit zurückgeben zu wollen. In diesem Sinne bildete er eine Kommission von Kardinälen aus allen Kontinenten, um eine mögliche Reform der Römischen Kurie zu prüfen. Um jedoch konkrete wirksame Schritte auf diesem Weg tun zu können - was ja bereits geschieht -, braucht er unsere entschiedene aktive Mitwirkung. Wir sollten uns gemäß unserem Selbstverständnis als Bischöfe daran beteiligen, nicht nur als bloße Ratgeber oder Helfer des Papstes, die ihm nur dann behilflich sind, wenn er das wünscht oder darum bittet, sondern als Hirten, die dazu beauftragt sind, gemeinsam mit dem Papst die Sorge für alle Kirchen zu tragen und die weltweite Gemeinschaft zu gewährleisten.
3. Das Fünfzig-Jahr-Gedenken des Konzils
In diesem historischen Augenblick, der auch mit dem Fünfzig-Jahr-Gedenken des Zweiten Vatikanischen Konzils zusammentrifft, ist der wichtigste Beitrag, den wir der Kirche bieten können, die aktive Übernahme unserer Sendung als Hirten, die das Priestertum des Neuen Testaments ausüben, nicht als Priester des alten Gesetzes, sondern als Propheten. Dies verpflichtet uns, effektiver mit dem Bischof von Rom zusammenzuarbeiten, indem wir unsere Ansichten zu den Themen, die einer pastoralen und theologischen Kritik bedürfen, in größerer Freiheit und Autonomie zum Ausdruck bringen. Wenn Bischöfe aus aller Welt ihre Pflicht zum Dialog mit entschiedenerer brüderlicher Freiheit und Verantwortung wahrnähmen und ihre Ansichten zu verschiedenen Themen freier äußerten, würden gewiss bestimmte Tabus gebrochen. Dann könnte die Kirche den Dialog mit der Menschheit wieder aufnehmen, den Papst Johannes XXIII begonnen hatte und auf den Papst Franziskus verweist.
Wir haben jetzt die Gelegenheit, das Zweite Vatikanische Konzil zu aktualisieren, ein für alle Mal die Versuchung zu einer konstantinischen Christenheit hinter uns zu lassen, in einer vielgestaltigen und armen Kirche zu leben, mit ihrer Option für die Armen, mit ihrer Ekklesiologie der Mitbestimmung, der Befreiung, der Diakonie, der Prophetie, des Martyriums ... In einer ausdrücklich ökumenischen Kirche, in der Glaube und Politik zusammengehören, mit der Sorge für die Integration Unseres Amerika, in der die Frauen zu ihrem vollen Recht kommen und entsprechend engstirnige Interpretationen einer irrigen Ekklesiologie verabschiedet werden.
Am Ende des Konzils vereinbarten einige Bischöfe - unter ihnen viele Brasilianer - in St. Domitilla den Katakombenpakt. Rund 500 Bischöfe folgten ihnen bei diesem radikalen und tiefgreifenden Engagement zur persönlichen Umkehr. Damit begann die mutige prophetische Rezeption des Konzils.
Heute denken viele Menschen in verschiedenen Teilen der Welt an einen neuen Katakombenpakt. Weil wir zu Eurem Nachdenken über die Kirche beitragen wollen, schicken wir Euch im Anhang den Text des Ersten Katakombenpaktes.
Der von Papst Franziskus denunzierte Klerikalismus ist dabei, dem Verständnis von Kirche die zentrale Bedeutung des Volkes Gottes zu rauben, obwohl doch ihre Mitglieder durch die Taufe zur Würde von "Priestern, Propheten und Königen" erhoben wurden. Ebenso verhindert dieser Klerikalismus die führende Rolle der Männer und Frauen im Laiendienst, indem er dem Weihe-Sakrament eine Vorrangstellung gibt vor dem Sakrament der Taufe und vor der radikalen Gleichheit aller getauften Frauen und Männer in Christus.
Darüber hinaus wird es in der heutigen Welt, in der die Mehrheit der Katholiken in den Ländern des Südens (Lateinamerika und Afrika) lebt, immer wichtiger, der Kirche neben den üblichen Formen, die der okzidentalen Kultur angehören, ein anderes Aussehen zu geben. Wir müssen uns in unseren Ländern die Freiheit nehmen, die Sprache des Glaubens und der lateinischen Liturgie zu ent-okzidentalisieren, nicht um eine andere Kirche zu schaffen, sondern um die Katholizität der Kirche zu bereichern.
Schließlich steht unser Dialog mit der Welt auf dem Spiel. Zur Debatte steht auch das Bild, das wir der Welt von Gott geben und das wir durch die Art, wie wir sind, durch die Sprache unserer Gottesdienste und durch die Art und Weise unserer Pastoral bezeugen. Dieser Punkt sollte uns am stärksten besorgt machen und unsere ganze Aufmerksamkeit verlangen. In der Bibel bedeutete für das Volk Israel "zur ersten Liebe zurückzukehren" an Mystik und Spiritualität des Exodus wieder anzuknüpfen.
Mit unseren Kirchen in Lateinamerika, "zur ersten Liebe zurückzukehren" heisst, die Mystik des Reiches Gottes auf dem gemeinsamen Weg mit den Armen und im Dienst an ihrer Befreiung wieder aufnehmen. In unseren Diözese darf die Sozialpastoral nicht bloßes Anhängsel der kirchlichen Organisation bzw. ein nachrangiger Bereich unserer Seelsorge sein. Im Gegenteil, Sozialpastoral macht uns zur Kirche, zu einer Versammlung, die durch den Heiligen Geist zusammengeführt wird, um davon Zeugnis abzulegen, dass das Reich Gottes anbricht, nach dem wir verlangen, wenn wir beten: "Dein Reich komme!"
Zweifelsohne ist der gegenwärtige Augenblick, vor allem für uns Bischöfe, mit aller Dringlichkeit die Zeit zum Handeln. Als Papst Franziskus sich beim Weltjugendtag an die Jugendlichen wandte und sie bei ihren Demonstrationen unterstützte, sagte er es so: "Ich möchte, dass die Kirche auf die Straße geht." Das ist ein Echo auf die begeisterten Worte des Apostels Paulus an die Römer: "Es ist Zeit, vom Schlaf aufzustehen, ... es ist Zeit, die Waffen des Lichts anzulegen" (Röm 13,11). So soll auch unsere Mystik und unsere tiefe Liebe sein.
Seid in brüderlicher Freundschaft umarmt!
Quelle: www.redescristianas.net
Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz, Kleve
den ganzen Brief zum Download finden sie HIER